URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
21. Januar 1999 (1)
„Arzneispezialitäten Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen
Gerichtliche Kontrolle“
In der Rechtssache C-120/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Court of Appeal
(England & Wales) (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen
Rechtsstreit
Upjohn Ltd
gegen
The Licensing Authority established by the Medicines Act 1968 u. a.
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie
65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter
J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann (Berichterstatter), D. A. O. Edward und
M. Wathelet,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Upjohn Ltd, vertreten durch Richard Gordon, QC, und Barrister
Nicholas Green, beauftragt von den Solicitors Simon Pearl und Peter Ellis,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Lindsey Nicoll,
Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte im Beistand von Peter
Duffy, QC, und Barrister Richard McManus,
der französischen Regierung, vertreten durch Kareen Rispal-Bellanger,
Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für
Auswärtige Angelegenheiten, und durch Régine Loosli-Surrans, Chargé de
mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch den
Hauptrechtsberater Richard Wainwright und durch Fernando Castillo de la
Torre, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Upjohn Ltd, vertreten durch
Richard Gordon und Nicholas Green, der Regierung des Vereinigten Königreichs,
vertreten durch John E. Collins, Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten
im Beistand von Peter Duffy und Richard McManus, der französischen Regierung,
vertreten durch Régine Loosli-Surrans, und der Kommission, vertreten durch
Richard Wainwright, in der Sitzung vom 24. März 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni
1998,
folgendes
Urteil
- 1.
- Der Court of Appeal (England & Wales) hat mit Beschluß vom 26. Oktober 1995,
beim Gerichtshof eingegangen am 24. März 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag
drei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26.
Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über
Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Upjohn Ltd gegen die aufgrund
des Medicines Act 1968 eingerichtete Licensing Authority (im folgenden:
Lizenzbehörde) und die gemeinsam als Lizenzbehörde zuständigen Minister über
die Entscheidung dieser Behörde, sämtliche Genehmigungen für das
Inverkehrbringen des Medikaments „Triazolam“, das von der Klägerin des
Ausgangsverfahrens auch unter der Markenbezeichnung Halcion eingetragen
worden ist, mit sofortiger Wirkung zu widerrufen.
- 3.
- Gemeinschaftsrecht
Artikel 11 der Richtlinie 65/65 in der Fassung der Richtlinie 83/570/EWG des Rates
vom 26. Oktober 1983 zur Änderung der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und
75/319/EWG (ABl. L 332, S. 1) bestimmt:
„Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten setzen die Genehmigung für das
Inverkehrbringen einer Arzneispezialität aus oder widerrufen sie, wenn sich
herausstellt, entweder daß die Arzneispezialität schädlich ist oder daß ihre
therapeutische Wirksamkeit fehlt oder daß die Arzneispezialität nicht die
angegebene Zusammensetzung nach Art und Menge aufweist. Die therapeutische
Wirksamkeit fehlt, wenn feststeht, daß sich mit der Arzneispezialität keine
therapeutischen Ergebnisse erzielen lassen.
Die Genehmigung wird ebenfalls ausgesetzt oder widerrufen, wenn sich herausstellt,
daß die gemäß den Artikeln 4 und 4a in den Akten enthaltenen Angaben unrichtig
sind oder nicht gemäß Artikel 9a geändert wurden, oder wenn die in Artikel 8
dieser Richtlinie oder in Artikel 27 der Zweiten Richtlinie 75/319/EWG des Rates
vom 20. Mai 1975 über die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
über Arzneimittel genannten Kontrollen des Fertigerzeugnisses nicht durchgeführt
worden sind.“
- 4.
- Gemäß Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 65/65 müssen die aufgrund von Artikel
11 ergangenen Entscheidungen eingehend begründet werden. Sie sind den
Betroffenen unter Angabe der vorgesehenen Rechtsbehelfe und
Rechtsbehelfsfristen zuzustellen.
- 5.
- Nach Artikel 21 der Richtlinie darf die Genehmigung für das Inverkehrbringen nur
aus den in dieser Richtlinie aufgeführten Gründen versagt, ausgesetzt oder
widerrufen werden.
- 6.
- Artikel 8 der Richtlinie 75/319 (ABl. L 147, S. 13) in der Fassung der Richtlinie
83/570 sieht vor: „Um eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten bei den
Entscheidungen über die Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen
zu erleichtern und auf diese Weise den freien Verkehr der Arzneispezialitäten zu
begünstigen, wird ein Ausschuß für Arzneispezialitäten ... eingesetzt, der aus
Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission besteht [und] auf Antrag eines
Mitgliedstaats oder der Kommission“ tätig wird.
- 7.
- Nach Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der
Richtlinie 83/570 kann, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten eine Genehmigung
für das Inverkehrbringen ausgesetzt oder zurückgenommen haben, während diese
Genehmigung in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten nicht ausgesetzt,
widerrufen oder zurückgenommen worden ist, einer der betreffenden
Mitgliedstaaten oder die Kommission den Ausschuß für Arzneispezialitäten mit der
Anwendung des Verfahrens nach Artikel 14 dieser Richtlinie befassen.
- 8.
- Artikel 14 Absatz 1 Unterabsatz 1 Richtlinie 75/319 in der Fassung der Richtlinie
83/570 bestimmt, daß bei Inanspruchnahme des in diesem Artikel beschriebenen
Verfahrens der Ausschuß berät und binnen 60 Tagen, nachdem er befaßt wurde,
eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgibt. Nach Artikel 14 Absatz 2
Unterabsatz 1 betrifft die Stellungnahme des Ausschusses u. a. die Gründe, aus
denen die Genehmigung für das Inverkehrbringen in den in Artikel 11 genannten
Fällen ausgesetzt, widerrufen oder zurückgenommen worden ist.
- 9.
- Gemäß Artikel 14 Absatz 2 Unterabsatz 2 setzt der Ausschuß den oder die
betreffenden Mitgliedstaaten und die für das Inverkehrbringen verantwortliche
Person unverzüglich von seiner Stellungnahme oder sofern Unterschiede bestehen
von den Stellungnahmen seiner Mitglieder in Kenntnis. Nach Artikel 14 Absatz
3 äußern sich schließlich der oder die betreffenden Mitgliedstaaten binnen
höchstens 60 Tagen nach der Unterrichtung gemäß Artikel 14 Absatz 2
Unterabsatz 2 über die weitere Behandlung der Stellungnahme des Ausschusses.
Nationales Recht
- 10.
- Der Medicines Act 1968, bei dem es sich um die grundlegende Regelung auf dem
Gebiet der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten im
Vereinigten Königreich handelt, bestellt die Lizenzbehörde zur zuständigen
Behörde für die Genehmigungen für das Inverkehrbringen. Diese Behörde hat ihre
Aufsichtsbefugnisse der Medicines Control Agency (MCA) übertragen.
- 11.
- Das Committee for the Safety of Medicines (CSM) ist ein Gremium, das von der
Lizenzbehörde im Rahmen von Verfahren zur Aussetzung, zum Widerruf oder zur
Änderung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen angehört werden muß.
- 12.
- Die Medicines Commission ist ebenfalls ein Gremium mit der Aufgabe, die
Lizenzbehörde im Zusammenhang mit Genehmigungen oder Bescheinigungen für
Arzneispezialitäten zu beraten.
- 13.
- Nach geltendem nationalem Recht wird, wenn die Lizenzbehörde den Widerruf
einer Genehmigung für das Inverkehrbringen erwägt, ein Verwaltungsverfahren
eröffnet, in dem der Inhaber der Genehmigung zu hören ist und, insbesondere
sämtliche zweckdienlichen Unterlagen vorlegen und sich von Fachleuten seiner
Wahl unterstützen lassen kann, um nachzuweisen, daß die von der Verwaltung
untersuchte Arzneispezialität die nach der Richtlinie 65/65 für die Erteilung einer
Genehmigung erforderlichen Merkmale aufweist.
- 14.
- Gemäß Section 107 Medicines Act kann jede Person, die insbesondere vom
Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen einer Arzneispezialität
betroffen ist, binnen drei Monaten nach der Mitteilung der Entscheidung an sie
deren Gültigkeit beim High Court mit der Begründung anfechten,
a) sie sei nicht im Rahmen der durch diesen Act verliehenen Befugnisse
ergangen, oder aber
b) eine der Anforderungen dieses Act oder von Verordnungen aufgrund dieses
Act, die auf die Angelegenheit anwendbar sind, auf die sich die
Entscheidung bezieht, sei nicht erfüllt.
Der Ausgangsrechtsstreit
- 15.
- Triazolam, das auch unter der Markenbezeichnung Halcion, deren Inhaberin
Upjohn ist, vertrieben wird, ist ein verschreibungspflichtiges
Benzodiazepin-Arzneimittel für die Behandlung von Schlaflosigkeit. Triazolam
wurde im Vereinigten Königreich im September 1978 für Tabletten mit einem
Wirkstoffgehalt von 0,25 mg und 0,125 mg zugelassen.
- 16.
- Nachdem die MCA im Juli 1991 der Presse entnommen hatte, daß eine Frau
mittleren Alters ihre Mutter unter dem Einfluß von Triazolam erschossen hatte,
holte sie die Stellungnahme des CSM ein, der zu dem vorläufigen Ergebnis
gelangte, daß die Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu widerrufen seien;
die MCA teilte Upjohn daraufhin am 2. Oktober 1991 mit, daß die Lizenzbehörde
entschieden habe, die Genehmigungen für das Inverkehrbringen dieses
Medikaments für drei Monate auszusetzen. Diese Aussetzung wurde bis zum
Zeitpunkt des Widerrufs der Genehmigungen am 9. Juni 1993 um jeweils drei
Monate verlängert.
- 17.
- Parallel zum nationalen Verfahren und im Einklang mit Artikel 11 Absatz 2 der
geänderten Richtlinie 75/319 befaßten die Französische Republik und das
Königreich der Niederlande im Oktober 1991 den Ausschuß für Arzneispezialitäten.
Am 11. Dezember 1991 gab der Ausschuß eine Stellungnahme ab, die sich gegen
einen vollständigen Widerruf der Genehmigungen aussprach, und forderte die von
ihm ernannte Ad-hoc-Gruppe von Berichterstattern auf, ihre Arbeit durch eine
Beurteilung der Risiko/Vorteil-Relation bei sämtlichen Schlafmitteln mit
Kurzzeitwirkung einschließlich Triazolam zu vervollständigen.
- 18.
- Trotz dieser Stellungnahme sowie derjenigen der Medicines Commission mit der
Empfehlung, die Genehmigungen nur für die Erzeugnisse mit einem
Wirkstoffgehalt von 0,25 mg zu widerrufen, teilte die MCA Upjohn am 17. Juli
1992 jedoch mit, daß die Lizenzbehörde beabsichtige, sämtliche Genehmigungen
für Triazolam endgültig zu widerrufen. Dabei habe die Lizenzbehörde die
Stellungnahme des Ausschusses für Arzneispezialitäten vom 11. Dezember 1991
berücksichtigt.
- 19.
- Die MCA teilte Upjohn außerdem mit, daß sie, da die Lizenzbehörde der
Stellungnahme der Medicines Commission nicht gefolgt sei, von der durch die
Lizenzbehörde „beauftragten Person“ oder der „Gruppe beauftragter Personen“
angehört werden könne. Upjohn machte von dieser Möglichkeit Gebrauch und
wurde von der Gruppe beauftragter Personen angehört. Der Bericht dieser Gruppe
gelangte jedoch zu dem Ergebnis, daß die Vorteile von Triazolam in einer
Dosierung von 0,25 mg und 0,125 mg größer seien als die Risiken.
- 20.
- Was das in Randnummer 17 des vorliegenden Urteils erwähnte Verfahren vor dem
Ausschuß für Arzneispezialitäten angeht, so prüfte der Ausschuß am 11./12. Mai
1993 die Entwürfe der Zusammenfassungen der Produktmerkmale für sämtliche
Schlafmittel mit Kurzzeitwirkung einschließlich Triazolam, die von der
Ad-hoc-Gruppe von Berichterstattern vorbereitet worden waren. Der Entwurf einer
Zusammenfassung der Produktmerkmale ließ die Verschreibung von Triazolam in
einer Dosis von 0,125 mg oder 0,25 mg für Erwachsene und von 0,125 mg für alte
Menschen zu. Der Ausschuß für Arzneispezialitäten folgte den Empfehlungen der
Ad-hoc-Gruppe. Die Entwürfe der Zusammenfassungen der Produktmerkmale
wurden dann den Mitgliedstaaten und den betreffenden Lizenzinhabern übermittelt.
Stellungnahmen sollten bis zum 1. Juli 1993 eingereicht werden, damit der
Ausschuß sie in seiner Tagung vom 13./14. Juli prüfen konnte.
- 21.
- Die Lizenzbehörde übermittelte Upjohn jedoch am 9. Juni 1993 ihren Bescheid, mit
dem sämtliche Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Triazolam mit
sofortiger Wirkung widerrufen wurden.
- 22.
- Am 15. September 1993 nahm der Ausschuß für Arzneispezialitäten den Bericht
der Ad-hoc-Gruppe von Berichterstattern an, der u. a. zu dem Ergebnis gelangte,
daß Triazolam weiter vertrieben werden könne.
- 23.
- Zwischenzeitlich hatte Upjohn am 31. August 1993 beim High Court die
Aufhebung der Entscheidung der Lizenzbehörde vom 9. Juni 1993 beantragt.
Upjohn trug in diesem Verfahren vor, daß es vor jeder Prüfung in der Sache
erforderlich sei, dem Gerichtshof die Frage vorzulegen, wie die nationalen Gerichte
bei der Prüfung der vorliegenden Rechtssache vorgehen sollten. Der High Court
entschied, daß eine Vorlage an den Gerichtshof nicht erforderlich sei.
- 24.
- Upjohn legte daher gegen diese Entscheidung Rechtsmittel beim Court of Appeal
ein, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt hat:
1. Sind die Richtlinie 65/65/EWG des Rates in der geänderten Fassung und
das Gemeinschaftsrecht allgemein so auszulegen, daß ein nationales Gericht
bei der Entscheidung darüber, ob die Entscheidung der Lizenzbehörde eines
Mitgliedstaats, die Lizenz des Herstellers eines Arzneimittels zu widerrufen,
mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, zu prüfen hat, ob die
Widerrufsentscheidung richtig ist, wenn die Lizenzbehörde aufgrund der ihr
vorliegenden Informationen in sachgerechter Weise auch zu einer anderen
Entscheidung hätte kommen können?
2. Falls die Antwort auf die erste Frage lautet, daß das nationale Gericht
prüfen muß, ob die Entscheidung der zuständigen Behörde richtig war,
verlangt dann das Gemeinschaftsrecht, daß dieses Gericht diese Frage allein
aufgrund der der zuständigen Behörde vorliegenden Unterlagen entscheidet,
oder muß das Gericht alle einschlägigen Informationen, die nach Erlaß
dieser Entscheidung bekannt werden, berücksichtigen?
3. Durfte die Lizenzbehörde die Lizenz widerrufen, wenn ihr bekannt war, daß
sich der Ausschuß für Arzneispezialitäten in Kürze in einem Gutachten für
die Aufrechterhaltung der Lizenz aussprechen würde?
- 25.
- In den Verfahren vor dem High Court und dem Court of Appeal hat Upjohn
vorgetragen, daß die Richtlinie 65/65 und allgemeiner das Gemeinschaftsrecht die
Mitgliedstaaten verpflichteten, ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung von
Entscheidungen der für Genehmigungen für das Inverkehrbringen von
Arzneispezialitäten zuständigen nationalen Behörden einzuführen, das die
nationalen Gerichte ermächtige, auf der Grundlage einer erneuten und
umfassenden Würdigung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu prüfen, ob
die erlassene Entscheidung richtig sei. Das nationale Gericht, das mit einer
Anfechtungsklage gegen die Entscheidung über den Widerruf der Genehmigungen
für das Inverkehrbringen von Triazolam befaßt sei, müsse darüber befinden
können, ob diese Entscheidung im Hinblick auf die wissenschaftlichen
Gegebenheiten, auf denen sie beruhe, die richtige sei.
- 26.
- Die Lizenzbehörde hat dem entgegengehalten, daß es nach der Richtlinie 65/65 nur
eine nationale Behörde geben könne, die für Entscheidungen auf dem Gebiet von
Herstellung und Vertrieb von Arzneispezialitäten, insbesondere von
Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen,
zuständig sei. Im Vereinigten Königreich sei diese Behörde eben die
Lizenzbehörde. Somit sei das nationale Gericht, das mit der Klage gegen die
Entscheidung über den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen von
Triazolam befaßt sei, nicht befugt, sich an die Stelle der Lizenzbehörde zu setzen,
sondern müsse sich auf eine Äußerung zu der Frage beschränken, ob die streitige
Entscheidung mit einem Fehler behaftet sei, der ihre Nichtigerklärung nach sich
ziehe.
Zur ersten Frage
- 27.
- Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie
65/65 und das Gemeinschaftsrecht allgemein die Mitgliedstaaten verpflichten, ein
Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den
Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten
einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung
des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung
herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen,
die die für den Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen
nationalen Behörden vorgenommen haben.
- 28.
- Im Rahmen des durch die hier in Rede stehenden Gemeinschaftsrechtsakte über
Arzneispezialitäten errichteten Systems verweist lediglich Artikel 12 der Richtlinie
65/65 auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen nach Artikel 11 dieser Richtlinie,
also die Entscheidungen über Aussetzung oder Widerruf der Genehmigungen für
das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten. Wie in Randnummer 4 des
vorliegenden Urteils ausgeführt, beschränkt sich Artikel 11 Absatz 1 jedoch auf die
Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, daß gegen solche
Entscheidungen ein Rechtsbehelf eingelegt werden kann.
- 29.
- Es zeigt sich daher, daß diese Bestimmung nicht die Modalitäten der Umsetzung
des Klagerechts regelt und es somit den Mitgliedstaaten überläßt, ihr eigenes
System der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen über Versagung,
Aussetzung oder Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von
Arzneispezialitäten einzurichten.
- 30.
- Upjohn trägt vor, daß Artikel 11 der Richtlinie 65/65 in der geänderten Fassung
unmittelbar anwendbar sei; folglich müsse das nationale Gericht eine umfassende
Kontrolle über das Handeln der Verwaltungsbehörde ausüben können. Andernfalls
gebe es keinen effektiven Schutz der Rechte, die Upjohn aus der unmittelbaren
Wirkung dieser Bestimmung ableite.
- 31.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes hat Artikel 11 der Richtlinie 65/65,
soweit er die Voraussetzungen für den Widerruf der Genehmigungen für das
Inverkehrbringen festlegt, ebenso unmittelbare Wirkung wie Artikel 21, der die
Möglichkeiten zum Widerruf dieser Genehmigungen auf die in der Richtlinie
ausdrücklich erwähnten Gründe der Volksgesundheit beschränkt (vgl. Urteil vom
26. Januar 1984 in der Rechtssache 301/82, Clin-Midy u. a., Slg. 1984, 251,
Randnrn. 4 und 10).
- 32.
- Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmung der zuständigen Gerichte und
die Ausgestaltung von gerichtlichen Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus
dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer
gemeinschaftsrechtlichen Regelung dieses Bereiches Sache der innerstaatlichen
Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; diese Verfahren dürfen jedoch nicht
ungünstiger gestaltet sein als bei entsprechenden Klagen, die das innerstaatliche
Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen die Ausübung der
durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch
unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl.
u. a. Urteile vom 14. Dezember 1995 in der Rechtssache C-312/93, Peterbroeck,
Slg. 1995, I-4599, Randnr. 12, und vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache
C-326/96, Levez, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 18).
- 33.
- Die Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen für das
Inverkehrbringen, wurden von den zuständigen nationalen Behörden nach Abschluß
komplexer Beurteilungen auf medizinisch-pharmakologischem Gebiet erlassen; es
ist nicht ersichtlich, daß nur ein Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung solcher
nationaler Entscheidungen, das die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt,
ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur Begründung der
Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle
der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der Genehmigungen für das
Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden vorgenommen haben, geeignet
ist, zu verhindern, daß die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung
verliehenen Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert
werden.
- 34.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes verfügt nämlich eine
Gemeinschaftsbehörde, die im Rahmen ihrer Aufgabe komplexe Prüfungen
vorzunehmen hat, dabei über einen weiten Ermessensspielraum, dessen
Wahrnehmung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die nicht
einschließt, daß der Gemeinschaftsrichter seine Würdigung des Sachverhalts an die
Stelle derjenigen dieser Behörde setzt. Somit beschränkt sich der
Gemeinschaftsrichter in einem solchen Fall auf die Prüfung der
Tatbestandsvoraussetzungen und ihrer rechtlichen Bewertung durch diese Behörde
und insbesondere der Frage, ob deren Handeln einen offensichtlichen Irrtum oder
Ermessensmißbrauch aufweist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessensspielraums
offensichtlich überschritten hat (vgl. u. a. Urteile vom 13. Juli 1966 in den
Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 429,
vom 22. Januar 1976 in der Rechtssache 55/75, Balkan-Import-Export, Slg. 1976,
19, Randnr. 8, vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 9/82, Øhrgaard und
Delvaux/Kommission, Slg. 1983, 2379, Randnr. 14, vom 15. Juni 1993 in der
Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203, Randnrn. 24 und 25,
und vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-157/96, National Farmers' Union u. a.,
Slg. 1998, I-2211, Randnr. 39).
- 35.
- Folglich verlangt das Gemeinschaftsrecht nicht, daß die Mitgliedstaaten ein
Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den
Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen, die nach der Richtlinie
65/65 und unter Vornahme komplexer Beurteilungen erlassen werden, einführen,
das eine weitergehende Nachprüfung umfaßt, als sie der Gerichtshof in
vergleichbaren Fällen vornimmt.
- 36.
- Das ändert jedoch nichts daran, daß jedes nationale Verfahren der gerichtlichen
Nachprüfung von Entscheidungen nationaler Behörden über den Widerruf von
Genehmigungen für das Inverkehrbringen dem mit einer Anfechtungsklage gegen
eine solche Entscheidung befaßten Gericht ermöglichen muß, im Rahmen der
Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung die maßgebenden
Grundsätze und Vorschriften des Gemeinschaftsrechts tatsächlich anzuwenden.
- 37.
- Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, daß die Richtlinie 65/65 und das
Gemeinschaftsrecht allgemein die Mitgliedstaaten nicht verpflichten, ein Verfahren
der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von
Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das
die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts,
insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen
wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den
Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen
Behörden vorgenommen haben.
Zur zweiten Frage
- 38.
- Mit seiner zweiten Frage möchte der Court of Appeal wissen, ob das
Gemeinschaftsrecht verlangt, daß das nationale Gericht, das mit einer
Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung
für das Inverkehrbringen einer bestimmten Arzneispezialität befaßt ist, über diese
Klage unter Berücksichtigung aller einschlägigen nach Erlaß dieser Entscheidung
gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse entscheidet.
- 39.
- Durch ein gerichtliches Kontrollsystem, bei dem das nationale Gericht über
Anfechtungsklagen gegen Entscheidungen über den Widerruf von Genehmigungen
für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten entscheidet, ohne die
einschlägigen nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung gewonnenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse zu berücksichtigen, wird die Ausübung der durch
die Richtlinie verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder
übermäßig erschwert.
- 40.
- Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragen hat, hat nämlich in
dem Fall, in dem sich nach Erlaß der Entscheidung über den Widerruf einer
Genehmigung für das Inverkehrbringen neue Erkenntnisse ergeben, der Betroffene
stets die Möglichkeit, einen neuen Antrag auf Genehmigung für das
Inverkehrbringen zu stellen. Es ist dann Sache der zuständigen
Verwaltungsbehörde, zu beurteilen, ob unter Berücksichtigung sämtlicher ihr zur
Verfügung stehender Informationen die Voraussetzungen für die Erteilung einer
neuen Genehmigung für das Inverkehrbringen erfüllt sind.
- 41.
- Dieses Ergebnis ist im vorliegenden Fall im Hinblick darauf zulässig, daß sich zum
einen die wissenschaftlichen Erkenntnisse, insbesondere was die Schädlichkeit einer
Arzneispezialität angeht, für die die Genehmigung für das Inverkehrbringen
widerrufen worden ist, im Lauf der Zeit ändern können und daß zum anderen die
Richtlinie 65/65 die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, ein Verfahren der
gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über den Widerruf von
Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Arzneispezialitäten einzuführen, das
die zuständigen nationalen Gerichte ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts,insbesondere der zur Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen
wissenschaftlichen Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den
Widerruf der Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen
Behörden vorgenommen haben.
- 42.
- Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht nicht
verlangt, daß das nationale Gericht, das mit einer Anfechtungsklage gegen eine
Entscheidung über den Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen
einer bestimmten Arzneispezialität befaßt ist, über diese Klage unter
Berücksichtigung aller einschlägigen nach Erlaß dieser Entscheidung gewonnenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse entscheidet.
Zur dritten Frage
- 43.
- Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in dem Fall, in
dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren Mitgliedstaaten im
Anschluß an eine von der zuständigen nationalen Behörde erlassene Entscheidung
über die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befaßt worden
und die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme abgelaufen ist, die Richtlinien
65/65 und 75/319 in der Fassung der Richtlinie 83/570 diese Behörde daran
hindern, eine Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für das
Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für
Arzneispezialitäten abzuwarten.
- 44.
- Nach Artikel 11 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 75/319 in der Fassung der
Richtlinie 83/570 kann, wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen von
einem oder mehreren Mitgliedstaaten ausgesetzt worden ist, in einem oder
mehreren anderen Mitgliedstaaten jedoch nicht, einer der betreffenden
Mitgliedstaaten den Ausschuß für Arzneispezialitäten mit der Anwendung des
Verfahrens nach Artikel 14 dieser Richtlinie befassen.
- 45.
- Nach Artikel 14 berät der Ausschuß für Arzneispezialitäten bei Inanspruchnahme
des in diesem Artikel beschriebenen Verfahrens und gibt binnen 60 Tagen,
nachdem er befaßt wurde, eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Der
Ausschuß setzt den oder die betreffenden Mitgliedstaaten und die für das
Inverkehrbringen verantwortliche Person unverzüglich von seiner Stellungnahme
oder sofern Unterschiede bestehen von den Stellungnahmen seiner Mitglieder
in Kenntnis. Der oder die betreffenden Mitgliedstaaten äußern sich binnen
höchstens 60 Tagen nach ihrer Unterrichtung über die weitere Behandlung der
Stellungnahme des Ausschusses.
- 46.
- Es kann dahingestellt bleiben, ob eine nationale Behörde nach den vorgenannten
Bestimmungen befugt ist, innerhalb der Frist von 60 Tagen nach der Befassung des
Ausschusses für Arzneispezialitäten den Widerruf einer Genehmigung für das
Inverkehrbringen zu verfügen; jedenfalls hindert nichts diese Behörde daran, eine
Genehmigung für das Inverkehrbringen zu widerrufen, wenn der Ausschuß seine
Stellungnahme nicht innerhalb dieser Frist abgegeben hat.
- 47.
- Wie der Generalanwalt in den Nummern 63 und 64 seiner Schlußanträge
ausgeführt hat, ist die Stellungnahme des Ausschusses keineswegs bindend und
Artikel 14 kann, da es um die Volksgesundheit geht, nicht dahin ausgelegt werden,
daß er die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Stellungnahme des Ausschusses auch
dann noch abzuwarten, wenn die 60-Tage-Frist für deren Abgabe abgelaufen ist,
bevor sie beschließen, eine Arzneispezialität zurückzuziehen, in der sie eine
mögliche Gefahr für die Volksgesundheit sehen, deren Schutz das wesentliche Ziel
der Richtlinie 65/65 darstellt.
- 48.
- Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, daß die Richtlinien 65/65 und 75/319
in der Fassung der Richtlinie 83/570 dahin auszulegen sind, daß sie in dem Fall, in
dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren Mitgliedstaaten im
Anschluß an eine von der zuständigen nationalen Behörde erlassene Entscheidung
über die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen befaßt worden
und die Frist für die Abgabe seiner Stellungnahme abgelaufen ist, diese Behörde
nicht daran hindern, eine Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für
das Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für
Arzneispezialitäten abzuwarten.
Kosten
- 49.
- Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der französischen
Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Court of Appeal (England & Wales) mit Beschluß vom 26.
Oktober 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Die Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten und das
Gemeinschaftsrecht allgemein verpflichten die Mitgliedstaaten nicht, ein
Verfahren der gerichtlichen Nachprüfung nationaler Entscheidungen über
den Widerruf von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von
Arzneispezialitäten einzuführen, das die zuständigen nationalen Gerichte
ermächtigt, ihre Würdigung des Sachverhalts, insbesondere der zur
Begründung der Widerrufsentscheidung herangezogenen wissenschaftlichen
Beweise, an die Stelle der Bewertung zu setzen, die die für den Widerruf der
Genehmigungen für das Inverkehrbringen zuständigen nationalen Behörden
vorgenommen haben.
2. Das Gemeinschaftsrecht verlangt nicht, daß das nationale Gericht, das mit
einer Anfechtungsklage gegen eine Entscheidung über den Widerruf einer
Genehmigung für das Inverkehrbringen einer bestimmten Arzneispezialität
befaßt ist, über diese Klage unter Berücksichtigung aller einschlägigen nach
Erlaß dieser Entscheidung gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse
entscheidet.
3. Die Richtlinie 65/65 und die Zweite Richtlinie 75/319/EWG des Rates vom
20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
über Arzneispezialitäten, beide in der Fassung der Richtlinie 83/570/EWG
des Rates vom 26. Oktober 1983, sind dahin auszulegen, daß sie in dem
Fall, in dem der Ausschuß für Arzneispezialitäten von mehreren
Mitgliedstaaten im Anschluß an eine von der zuständigen nationalen
Behörde erlassene Entscheidung über die Aussetzung einer Genehmigung
für das Inverkehrbringen befaßt worden und die Frist für die Abgabe seiner
Stellungnahme abgelaufen ist, diese Behörde nicht daran hindern, eine
Entscheidung über den Widerruf dieser Genehmigung für das
Inverkehrbringen zu erlassen, ohne die Stellungnahme des Ausschusses für
Arzneispezialitäten abzuwarten.
PuissochetMoitinho de Almeida
Gulmann
Edward Wathelet
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Januar 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet